Montagsblock /320

Kategorien dienen dazu, sich einen Reim auf die Welt zu machen. Kategorien sind damit unserer Weltwahrnehmung vorgeordnet, oder besser: Sie ordnen die Welterfassung logisch. Die Kategorienlehre geht auf Aristoteles zurück, der nach Regeln der Welterfassung, nach der Möglichkeit, sie sprachlich zu erfassen, und nicht zuletzt nach der logischen Verbindung unterschiedlicher Sätze gesucht hat. Kategorien bewegen sich in diesem Sinne zwischen der Wirklichkeit und ihrer Erfassung, weil wir sie ohne ihre Erfassung nicht erfassen können und zugleich die Wirklichkeit selbst dann diesen Erfassungsregeln entspricht. Es geht also darum, sich einen Reim auf eine Welt zu machen, in die man selbst verstrickt ist.

Es ist hier nicht der Ort, dies philosophisch angemessen zu rekonstruieren oder gar die philosophischen Wege zu beleuchten, die bis zu einer modernen Form der Kategorienlehre wie bei Kant geführt haben, die ebenfalls die Verschränktheit von Welt und Welterfassung zum Thema hat. Ein etwas einfacherer Begriff des Kategorialen könnte dann so aussehen, dass wir Deutungsschemata verwenden, durch die unsere Weltwahrnehmung bzw. Weltdeutung „geführt“ wird, wie wir also aus der Mannigfaltigkeit von Eindrücken eingeschränkte Ausdrücke machen können.

Kategorien müssen nicht nur diese klassischen fundamentalen und allgemeinen Kategorien sein wie „Größe“ oder „Substanz“, „Ort“ oder „Zeit“ – alles Formen, die grundlegende Relationierungen ermöglichen. Auch unserer kulturelles Verständnis arbeitet mit kategorienähnlichen Formen, die oft in Unterscheidungen oder Bezeichnungen oder Systematisierungen so sehr vorausgesetzt werden, dass uns die Welt wie jene Kategorien erscheint, die wir für sie selbst nehmen (müssen).

Diese Vorrede ist viel länger geworden, als es sein sollte. Ich wollte in diesen Montagsblock eigentlich mit dem Gedanken einsteigen, dass das, was gerade in den Vereinigten Staaten passiert, mit den üblichen (v.a. politischen) Kategorien womöglich nicht zu verstehen ist und unterschätzt wird.

Da ist etwa das Rechts-/Links-Schema. Dass viele der Maßnahmen von Trump von „rechten“ Ideen geprägt sind, ist offenkundig – der Hass auf Einwanderer, die offenkundige rassistische Form der Ausgrenzung, das Denken in Kategorien der Zugehörigkeit, der Kulturkampf gegen akademische Begründungen für Pluralismus, die ethnonationale Instrumentalisierung des Religiösen – all das sind klassische Kriterien einer rechten Agenda, die sehr deutlich an ebenso klassischen Ressentiments ansetzt. Aber hilft es, diese Dinge als rechts zu beschreiben? Das sind sie so offenkundig, dass es genau genommen keinen Informationswert hat – es dient allenfalls zur Distanzierung bzw. zur (so notwendigen) Verachtung, aber erklärt ist damit nichts.

Eine andere, auch in vielen publizistischen Beobachtungen vorkommende, Deutung betont das Liberale an Trump – zumindest war es hierzulande während dessen Wahlkampf eine ziemlich simplizistische Hoffnung derer, die damit womöglich eher den hier waltenden Kulturkampf adressiert haben, in dem angeblich die Freiheit bedroht sei – die Freiheit der Rede ebenso wie die unternehmerische Freiheit. Die Liberale wird meist als Form eines Rückbaus des Staates zugunsten jener gesellschaftlichen Dynamik verstanden, die sich am besten selbst ordnet. Liberale beschreiben sich selbst vor allem als staatsskeptisch, und zwar in dem Sinne, dass sie auf zu starke Regulierung verzichten wollen, auf das freie Spiel der Kräfte, auf sowohl unternehmerische als auch kulturelle Freiheiten setzen und gerade deshalb möglichst wenig regulieren wollen.

Aber kann man die Trump-Administration aus der Perspektive (selbst dieses Schrumpf-)Liberalismus feiern? Wohl eher nicht, denn gerade diese Administration ähnelt eher dem Traum einer geradezu antiliberalen Strategie, möglichst direktiv und kompromisslos in alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche hineinzuregieren – Unternehmen zu verbieten, ihre internen Diversitätsregeln zu gestalten, Universitäten vorzuschreiben, was und wie nicht geforscht werden soll, die Presse abzustrafen, wenn sie nicht angemessen berichtet usw. Das trägt erhebliche illiberale Züge, denn es ist hier ein sich geradezu monarchisch gerierender staatlicher Akteur, der das, was der Liberalismus sich selbst nachsagt, geradezu negiert: der Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten zu vertrauen und abzuwarten, was am Ende dabei herauskommt.

Oder lernen wir aus dem Fall der USA, dass diese Selbstbeschreibung des Liberalismus womöglich immer schon eher eine Selbst- und Fremdtäuschung war und das freie Spiel der Kräfte nur für die gilt, die es sich leisten können – ökonomisch und im Hinblick auf Organisationsmacht? Lernen wir gerade, dass der organisierte Liberalismus vielleicht doch nur als ein kleines Korrektiv taugt, aber nicht das Zeug für größere Konzepte haben kann, weil er am Ende trotz eines universalistischen Freiheitsverständnisses nur eine pressure group einiger Weniger ist? Vieles spricht dafür, dass „der“ Liberalismus viel weniger liberal ist, als erwartet. Und schon diese meine merkwürdige Formulierung riecht enorm nach Kategoriendämmerung.

Und noch schlimmer: Wäre die Alternative dann etwas „Illiberales“, also die Umkehrung des Ganzen, oder gar etwas „Linkes“ – oder vielleicht ein Konzept, das sich dem Monarchischen entgegengestellt hat, nämlich die republikanische Idee eines Interessenausgleichs und einer Form der Wechselseitigkeit, die jene geradezu sprichwörtliche Form der checks & balances, für die man das freie Amerika immer so gerühmt hat?

Oder können sich Liberale rausreden und darauf verweisen, dass die Strategie eigentlich eine libertäre sei – etwas, das für den so tief gefallenen noch amtierenden Vorsitzenden der deutschen Liberalen noch etwas war, das man mehr wagen sollte? Das Libertäre ist nichts anderes als die Kapitulation vor jenen republikanisch gerahmten checks & balances und führt am Ende zu einem Recht des Stärkeren, das das Recht, Rechte zu haben (Hannah Arendt), zumindest tendenziell einschränkt. Das Libertäre ist am Ende autoritär, weil jemand die Macht haben muss, die Regeln entgegen aller Regeln einzureißen. Die Metapher ist nicht der Diskurs, nicht das Argument, erst recht nicht der Interessenausgleich, sondern die Kettensäge.

Unter kategorialen Gesichtspunkten ist das eigentlich eine sehr schöne Metapher, denn sie bringt die Distanz zu allem zum Ausdruck, das die Form einer kollektiv verbindlichen Wechselseitigkeit und der zivilisierten Einschränkung der im Wettstreit liegenden Teile ausgemacht hatte: die Verwobenheit aller Interessen, Perspektiven und wechselseitige Abhängigkeiten, sogar kulturelle Imprägnierungen, die das alte Europa einmal ausgemacht hat, für das die libertären Verächter all dessen nur beißenden Spott übrig haben und jede Form einer geradezu langweiligen Form der Kompromisssuche verachten – hier gibt es Hinweise auf die faschistische Form der „Tat“, der klaren Durchsetzung, der Kompromisslosigkeit, der disruptiven Härte. Aber auch hier sind Zweifel angezeigt, denn klassisch libertär ist der geradezu totalitäre Interventionismus der Trumpisten nicht – eher habituell libertär.

Oder ist es alles nur klassisch autoritär oder neomonarchisch? Zumindest kehrt die Großmachtpolitik wieder – nach innen und nach außen. Nach außen in dem Sinne, dass die USA nur noch die Großmächte sehen – Russland, China und sich selbst. Alle Wechselseitigen und partikularen Verpflichtungen, regelbasierten Formen und rechtsförmigen Vereinbarungen stehen hinter diesem neuen Naturzustand zurück, in dem ebenfalls das Recht des Stärkeren gilt, das ökonomisch, politisch und militärisch ausgespielt wird. Es ist ein Rückschritt hinter alle Lehren aus der Nachkriegsordnung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – die Macht zu teilen, das Durchregieren zu vermeiden, wechselseitige Abhängigkeiten und Kooperation zu institutionalisieren. Es ist ein Dezisionismus, der sich hier Bahn bricht – und der erstaunlicherweise in dem dem Monarchischen nicht ganz unähnlichen präsidialen politischen System der USA angelegt sein könnte. So ist es auch nach innen ein gewissermaßen monarchisches Prinzip, in dem die Figur eines Oppositionsführers wie in einem parlamentarischen System nicht angelegt ist, wie Christoph Möllers letztens in der FAZ dargelegt hat. Die Opposition ist eher unpersönlich auf unterschiedliche Schultern verteilt – Gerichte oder die beiden Kammern –, aber nicht institutionalisiert. Die parlamentarische Opposition dagegen kann den Regierungschef direkt angehen und ihm wenigstens gute Gründe abverlangen. All das braucht Trump nicht, der eher per Dekret regiert (und zur Not viel später von Gerichten eingefangen wird).

Ich breche den Versuch, angemessene Kategorien zu finden, hier ab. Man könnte ein liberal anmutendes Argument machen und fragen, welcher Kräfte es bedarf, um gegen diese monarchische Selbstermächtigung vorzugehen. Historisch war das zumindest die Geburtsstunde des liberalen Kritik. Vielleicht wird auch deutlich,

dass das, was im deutschsprachigen Raum stets unter Rekurs auf Böckenförde diskutiert wird, bisweilen unterschätzt wird. Böckenförde hat die gesellschaftlichen Voraussetzungen des demokratischen Rechtsstaates als säkularem Staat angesprochen – es ging um die Bindungskräfte, die die Demokratie braucht, um funktionieren zu können. Vielleicht wäre dies derzeit eine Erklärungskategorie. Ich würde hier statt an Bindungskräfte eher an so etwas wie Zivilisation denken – bringt die Umwelt des Politischen genug zivilisatorische Kraft auf, um den demokratischen Streit selbst zu zivilisieren? Wenn man unter Zivilisation verstehen will, dass nicht alles, was uns affektiv und kognitiv in den Kopf kommt, sogleich gesagt und getan werden muss, dann wäre ein zivilisierter Zustand ein solcher, der die Wechselseitigkeit des Unterschiedlichen bewirtschaftet. Zivilisiertes Verhalten wäre ein solches, das mit wechselseitiger Einschränkung von Möglichkeiten rechnet und damit erst die Basis jener Kompromissfähigkeit ist, die den komplexen Institutionenarrangements einer komplexen Gesellschaft entspricht. In der Tradition von Norbert Elias oder auch Sigmund Freuds ließe sich zeigen, dass die Vermeidung manichäischer Konfrontation nur möglich ist durch Selbsteinschränkung und Kooperationsbereitschaft – beide führen dafür Kosten und Symptome an, die auf die andere Seite der Zivilisation hinweisen.

Derzeit sind Öffentlichkeiten leicht affizierbar. Sich zurückzunehmen wird fremd. Die schnelle Reaktion und affektive Wirkungstreffer sind die entscheidenden Aufmerksamkeitsgeneratoren – die Erwartungsstile der sozialen Medien wandern gewissermaßen in die Gesellschaft selbst ein. Und wie deren Algorithmen vor allem auf Eskalation setzen, scheint das auch für den gesellschaftlichen Aufmerksamkeitsalgorithmus zu gelten. Vielleicht wäre also die entscheidende Kategorie, sich einen Reim auf diese Entwicklung zu machen, ein Mangel an Zivilisation? Und würde diese Diagnose weiterhelfen? Ratlos sage ich: Ich weiß es nicht.

Armin Nassehi, Montagsblock /320

21. April 2025