Montagsblock /113

In diesem einhundertdreizehnten, genau, dreizehnten Montagblock möchte ich ein Déjà-vu-Erlebnis schildern und es gar nicht so genau analysieren, naja, ein bisschen schon. Aber die Sache spricht vielleicht für sich. Ich bin am 26. September 2016 zu einer USA-Reise gestartet, auf der ich einige Vorträge für die Goethe-Institute in Boston und Los Angeles gehalten und zwei Universitäten besucht habe. Ich landete damals mit einem Lufthansa-Flug am frühen Abend in Boston, früh genug, um von einem sehr freundlichen Mitarbeiter des Goethe-Instituts abgeholt zu werden, direkt in eine gut gefüllte Bar, in der sich vor allem junge Leute aus dem studentischen Milieu und auch ältere Universitätsleute aufgehalten haben. Es war ein großer Bildschirm aufgebaut, weil an jenem Abend das erste Fernsehduell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump stattgefunden hat. Zugegebenermaßen war ich müde – für meinen Körper war es schon zwei oder drei Uhr nachts. Aber der Abend war sehr elektrisierend. Man hatte sich noch nicht an die Sprechweise von Trump gewöhnt und war vielleicht noch erstaunter als heute, wenn man diesen Mann reden hört. Ich erinnere mich noch genau, wie die Besucherinnen und Besucher der Bar während des Duells immer entspannter wurden, weil Trump tatsächlich so unmöglich kommuniziert hat, dass es kaum möglich war, auch nur ein einziges Argument in seinen Sätzen zu finden. Er hat Clinton gegenüber stets ad personam argumentiert, während diese tatsächlich alle Argumente auf ihrer Seite hatte und auch darzulegen wusste. Trump hat nicht argumentiert, sondern die üblichen Dinge behauptet, die so absurd waren, dass man nicht dagegen argumentieren konnte. Wenn ich mich recht erinnere, hat er im Laufe der Debatte gemeint, dass mit Clintons Plan für offene Grenzen mehrere Hundert Millionen ins Land kämen – schon kommunikationslogisch kann man auf solche Sätze gar nicht reagieren, weil ihre Widerlegung sie mit Substanz versehen würde.

 

Es gab mehrere solcher Absurditäten. Die Reaktion in der Bar war freilich interessanter als die Diskussion selbst. Denn die Aufmerksamkeit lag vor allem auf den Sätzen des republikanischen Kandidaten. Würde man nur diese hören, wäre es das Absurditätenkabinett, das wir inzwischen zur Genüge kennen. Und je absurder die Sätze von Trump waren, desto lockerer wurde die Atmosphäre in der Bar. Die Stimmung lässt sich in dem Satz zusammenfassen: Die Sache ist gelaufen.

 

Jetzt zu behaupten, ich hätte es schon damals gewusst, wäre etwas übertrieben – aber ich erinnere mich, dass ich öfter nachgefragt habe, wie dieser Trump denn wohl in den Milieus außerhalb der linksliberalen, von Universitätsakademikern bevölkerten Bar in Massachusetts ankommen würde. Das wurde als ein merkwürdiger Defätismus eines Gastes aus good old Europe belächelt, und ich habe die ganze Woche bis zu meinem Rückflug von L.A. zurück nach München fast jeden Gesprächspartner und fast jede Gesprächspartnerin nach ihren Eindrücken gefragt: Kein einziges Mal habe ich jemanden getroffen, der nicht sicher war, dass Trump sich mit der Diskussion eigentlich schon selbst aus dem Rennen genommen hat. Was damals jedenfalls aufgefallen ist, war das kommunikative Dilemma, in dem Hillary Clinton steckte. Trumps Argumente waren so offenkundig unsinnig, dass sie für Kommunikation nur schwer anschlussfähig waren. Und die Angriffe auf die Person Clintons waren so offenkundig strategisch und unverschämt, dass ihre Widerlegung nur als Bestätigung der Diskussionswürdigkeit der Sache aufgefasst werden konnte.

 

Wir wissen, wie die Sache ausgegangen ist. Mein Déjà-vu-Erlebnis besteht nun darin, dass wir uns derzeit fast täglich über offenkundigen Unsinn von Trump freuen – er demontiert sich in Interviews, kann seine Inkompetenz nicht verdecken, schreckt vor keiner Peinlichkeit zurück und hält sich an keinen denkbaren Comment. Was sich zu wiederholen scheint, ist die Unmöglichkeit, solchem Unsinn zu begegnen. Vielleicht kann man Kommunikation nur be- oder widerlegen, wenn sie einen gewissen Geltungsanspruch deutlich macht oder wenn ein Argument in einer gewissen Konsistenz zu anderen Sätzen steht. Wo das fehlt, läuft jede Widerlegung ins Leere. Vielleicht ist das die genialste Form der Kommunikation in einer politischen Kultur, deren Polarisierung so groß ist, dass man so etwas wie einen Konflikt um eine konkrete Sache gar nicht führen kann. Die Idee der Deliberation setzt einen geteilten Horizont argumentativer Räume voraus – wenn sich eine der beiden Seiten dieser Grunderwartung entzieht, wird sie kommunikativ unerreichbar und damit für die eigenen Anhänger besonders plausibel. Das gilt dann auch für die andere Seite, die letztlich nur an die Adresse der eigenen Leute sprechen kann, oder, wenn sie sich auf das Spiel der Widerlegung des anderen einlässt, sich argumentativ auf dessen Vorgaben einlassen muss.

 

Man muss es sich so vorstellen: Wenn ich dagegen argumentieren muss, dass ich angeblich vorhabe, mehrere Hundert Millionen Menschen einwandern zu lassen, habe ich schon konzediert, dass es so sein könnte, sonst müsste ich es nicht verneinen – so ähnlich wie Trumps Amtsvorgänger sich mit der Vorlage seiner Geburtsurkunde auf die Frage von Trump eingelassen hat, dass er womöglich nicht auf amerikanischem Territorium geboren wurde (was Voraussetzung für das passive Wahlrecht als US-Präsident ist). Die kommunikative Situation damals war ähnlich wie heute. Je idiotischer Trumps Reden und Debattenbeiträge aussehen, desto stärker sind sie in der Lage, die Debatte zu bestimmen und desto schwächer machen sie das Gegenargument.

 

Mein Déjà-vu-Erlebnis jedenfalls sagt mir: Freut euch nicht zu früh über den größten Unsinn des amerikanischen Präsidenten. Dieser Unsinn ist seine größte Waffe – ob er von ihr weiß oder nicht, ist unklar, aber auch egal. Ein wenig hoffnungsvoll stimmt die Tatsache, dass Joe Biden und die Gegner von Trump bis dato auf allzu viel Kommunikation verzichten. Vielleicht haben sie gesehen, dass der beste Beweis für fehlende Anschlussfähigkeit im fehlenden Anschluss liegt. Denn die größte Macht entfaltet Trumps Kommunikationsform womöglich durch die Reaktionen, die sich auf ungewohntem Terrain bewegen, weil die Kommunikationsofferten gar nicht das bessere Argument sein wollen, sondern der Versuch, auf Argumente möglichst verzichten zu können. Vielleicht muss man dann tatsächlich sparsamer mit Argumenten umgehen. Freilich müssen sie dann um so besser sein. Aber der Wahlkampf hat noch gar nicht begonnen. Die Preisfrage lautet: Wie geht ein Wahlkampf mit möglichst wenig Kommunikation?

 

Armin Nassehi

Montagsblock /113, 27. Juli 2020