Montagsblock /321

Ronald McTrump und seine Nachkläffer (weltpolitisch ähnlich, aber hier nicht im Blickpunkt: Vladi Putinesca und seine Kopfnicker) sind jetzt 100 Tage im Amt. In der SZ konnte man am Wochenende die „Weltnachrichten, die nie welche sein durften“, im Zeitraffer nachlesen. Mein persönlicher Favorit: Tag 23 mit dem Verbot aller Wasser sparenden Maßnahmen für „Spülbecken, Duschen, Toiletten, Waschmaschinen, Geschirrspüler etc.“ Auf der Suche nach den Gründen des Ungehorsams gegen jede Form von Vernunft wollen wir in diesem Montagsblock in den psychologischen Experimentalwelten nachforschen. Vielleicht finden wir dort Hinweise, die mehr Licht ins Dunkel des menschenmöglich Irrationalen bringen.

Erste Versuchserkenntnis: „Nur ein hauchdünner Vorhang trennt die Wirklichkeit von der Phantasie.“ Dieser Satz stammt von der amerikanischen Psychologin Elizabeth Loftus. Sie hat viele Jahre geforscht, wie sich unser Gedächtnis von noch so jeder kleinen Suggestion naseführen lässt. Loftus berühmtestes Experiment war Lost in the Mall (Verloren im Einkaufszentrum). Zu diesem Zweck bereitete sie für 24 Versuchsteilnehmer ein kleines Heft vor, das jeweils drei tatsächliche Kindheitserinnerungen von Familienmitgliedern und einen frei erfundenen Bericht darüber enthielt, wie der oder die Kandidatin als Kind in einem Supermarkt verlorenging. Jeder Bericht war abgestimmt mit anderen Familienangehörigen. In der Folge bat man die Kandidaten, ihre Erinnerungen an die jeweiligen Ereignisse aufzuschreiben. Das verblüffende Ergebnis: Ein Viertel der Befragten breitete in teilweise weitschweifigen Erzählungen ihre „Lost in the Mall“-Geschichte aus. Obwohl diese definitiv nie stattgefunden hatte. Eine Kostprobe: „Ich hatte an dem Tag totale Angst, meine Familie nie wieder zu sehen. Ich wusste, dass ich in eine geradezu aussichtslose Situation geraten war.“ Als man die Versuchsteilnehmer über die Täuschung schließlich aufklärte, waren die meisten überrascht bis erschrocken. Fiktion schlägt Fakten! Konfabulation vernebelt Sinne.

In den USA gab es by the way vor Jahren eine aufsehenerregende Welle von Prozessen, in denen erwachsene Kinder ihre Eltern beschuldigten, sie wären in der Kindheit sexuell missbraucht worden – obwohl man in einigen Fällen erhebliche Zweifel haben konnte. Der berühmteste Fall war Paul Ingram, ein 41-jähriger Familienvater mit zwei Töchtern. Diese klagten ihren Vater an, er hätte sie aufs Grausamste missbraucht. Nach tagelangen, nicht enden wollenden Verhören gab er schließlich alles zu und wanderte ins Gefängnis. Wie sich später herausstellen sollte, völlig zu Unrecht. Denn die Täterschaft von Ingram war erzwungen worden. Dass er sie schließlich selbst glaubte, wurde durch Druck und Suggestion ausgelöst, mit denen Ingram im Verhör gefügig gemacht werden sollte.

Zweite Versuchserkenntnis: Ein anderes psychologisches Rätsel hatte seinen Ausgangspunkt 1953 in Hartford. Ein junger Mann litt an schwerer Epilepsie. Kein Arzt konnte ihm helfen. Bis auf Dr. Scoville, der ein Anhänger der Lobotomie war. Scoville bot an, zur Linderung der Krankheit den Hippocampus im Stirnlappen zu entfernen. Er hatte diese Operation bereits mehrmals bei Epileptikern durchgeführt. Niemand wusste damals, dass der Hippocampus der eigentliche Sitz vieler unserer Erinnerungen ist. So kam es, dass der Patient in den nächsten Tagen nach der Operation die Fähigkeit verlor, Erinnerungen zu bilden. Viel später, als er ein alter Mann in einem Pflegeheim war, kann er sich nichts merken. Immer noch ist Truman für ihn Präsident der Vereinigten Staaten. „Und jedes Mal, wenn Henry erfährt, dass seine Mutter schon lange tot ist, weint er erneut, als ob er es das erste Mal mitgeteilt bekäme.“

Im Laufe der Zeit fand man heraus, dass der Hippocampus das Gedächtnis für biographische Einzelheiten beheimatet. Es gibt allerdings noch ein unbewusstes Gedächtnis, das an einem völlig anderen Ort im Gehirn sitzt. Was zur Folge hat: „Selbst, wenn wir die Fähigkeit verlieren, uns an Namen und Gesichter zu erinnern, können wir durchaus noch wissen, wie man Fahrrad fährt oder eine Zigarette raucht.“ Dem Unbewussten, das Freud entdeckte, liegt ebenfalls eine hirnphysiologische Aktivität zugrunde. Diese Spur verfolgte Eric Kandel. Sein Fokus: Wie verwandelt das Gehirn das Kurzzeit- in ein Langzeitgedächtnis? Oder anders ausgedrückt: Warum vergessen wir den Namen eines aktuell bekannten Schauspielers und erinnern uns gleichzeitig daran, wie der Bruder der Mutter einem vor 25 Jahren ein Wiener Würstl geschenkt hat. Die Antwort: Irgendwie verlassen bestimmte Erinnerungen das Kurzzeitgedächtnis, um im Hippocampus gespeichert zu werden. Kandel entdeckte ein winziges Molekül namens CRP, das dafür verantwortlich ist.

Und wer schließlich – dritte Versuchserkenntnis – wissen will, warum McTrump & Co. derzeit so jämmerliche Pappfiguren des Erratischen abgeben, der sollte bei Leon Festinger nachschlagen, den Erfinder der kognitiven Dissonanz. Sprich: der Kluft zwischen dem, was man glaubt, und dem, was tatsächlich geschieht. Sie kann für die Betroffenen häufig nur dadurch geschlossen werden, indem man nur Unterstützer um sich schart und den Glauben stärkt, alle zusammen können sich doch gar nicht täuschen. Um die Kluft der kognitiven Dissonanz nicht wirksam werden zu lassen, vollführen Menschen die erstaunlichsten mentalen Verrenkungen. „Nur um sich in ihrer Heuchelei das Mäntelchen der Rechtfertigung umzuhängen.“ Beispiele gibt es täglich. Kein Wunder, wenn sich die entscheidenden Akteure in den USA nur mit Informationen umgeben, die mit ihren Grundeinstellungen übereinstimmen. Und natürlich mit Menschen, die diese Einstellungen bestätigen. Doch wer eine Verständigung erzielen will, muss über den eigenen Schatten springen. Das beginnt damit, den anderen verstehen zu wollen und auf ihn zuzugehen – wozu auch dessen Überzeugungen gehören. In der momentanen Phase der kognitiven Dissonanz kämpft jeder als Ritter seiner eigenen Triebhaftigkeit. Hauptsache, das eigene Gewissen wird beruhigt – und die Reihen sind dicht geschlossen.

Konfabulation, Gedächtnistäuschung und kognitive Dissonanz sind Teil der menschlichen Sehnsucht nach Vernunftfeindlichkeit, sagt die Psychologie. Im Hirnschmalz von Ronald McTrump fühlen sie sich besonders wohl (Grönland, Weihnachten 2024, Einverleibungsfantasien gegen Kanada, vorgestern, oder der Autopenvorwurf gegen Joe Biden, Tag 56). Und seine Anhänger würden sie sowieso ganz anders interpretieren: Konfabulation ist Perspektivenerweiterung. Gedächtnistäuschung ist Wahrheitsfindung. Und kognitive Dissonanz ist das autonome Glück der kleinen Leute. Und der Montagsblock ist in Wirklichkeit eine Scheibe …

Peter Felixberger, Montagsblock /321

28. April 2025